Zahlen zur Gewebespende 2022: Mangel an Herzklappen immer größer

Während die DGFG die Spende von Augenhornhäuten ausbauen konnte, musste die gemeinnützige Gesellschaft einen starken Rückgang in der Spende von Herzklappen hinnehmen

3.070 Men­schen spen­de­ten in 2022 Gewe­be – ein neu­er Rekord. Im Ver­gleich zum Vor­jahr konn­te die Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on (DGFG) die Gewe­be­spen­de erneut steigern

DGFG kri­ti­siert Geset­zes­re­form und warnt vor fata­len Fol­gen für die Pati­en­ten­ver­sor­gung mit Gewebe

„Das im März 2022 in Kraft getre­te­ne Gesetz zur Stär­kung der Ent­schei­dungs­be­reit­schaft bei der Organ­spen­de wird in die­ser Form zu einem Aus­brem­sen unse­rer Arbeit in der Gewe­be­spen­de füh­ren. Für jeden ein­zel­nen Fall wären wir auf die Aus­kunft aus dem Regis­ter, die nur über bevoll­mäch­tig­te Kli­nik­an­ge­stell­te mit einem elek­tro­ni­schen Heil­be­ru­fe­aus­weis abge­ru­fen wer­den kann, ange­wie­sen. Bei rund 45.000 Fäl­len pro Jahr, die wir bei der DGFG bear­bei­ten, und begrenz­ten Zeit- und Per­so­nal­res­sour­cen auf Kli­nik­sei­te kann das nicht funk­tio­nie­ren. Mit die­sem extre­men Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand für das Abru­fen einer mög­li­chen Ent­schei­dungs­do­ku­men­ta­ti­on kön­nen wir die Zeit­fens­ter in der Gewe­be­spen­de nicht ein­hal­ten“, hält Mar­tin Bör­gel, Geschäfts­füh­rer der DGFG, fest. „Die­se Geset­zes­re­form macht deut­lich, dass auf poli­ti­scher Sei­te eine völ­li­ge Unkennt­nis über die Pro­zes­se in der Gewe­be­spen­de bestehen. Noch immer haben wir in der Gewe­be­spen­de mit einem Man­gel, vor allem an Herz­klap­pen zu kämp­fen. Das Netz­werk der DGFG stemmt die Hälf­te der Pati­en­ten­ver­sor­gung mit Gewe­be­trans­plan­ta­ten. Damit das so blei­ben kann, muss drin­gend gehan­delt werden.“

Immer mehr Augen­horn­häu­te – immer weni­ger Herzklappen

Auch im drit­ten Pan­de­mie­jahr ist es der DGFG gelun­gen, die Gewe­be­spen­de wei­ter aus­zu­bau­en: 7.111 Gewe­be­trans­plan­ta­te konn­te die DGFG erfolg­reich ver­mit­teln, dar­un­ter 4.366 Horn­haut­trans­plan­ta­te. Die Augen­horn­haut ist mit 83,5 Pro­zent nach wie vor das am meis­ten gespen­de­te Gewe­be. Neben der Spen­de von Augen­horn­häu­ten, Herz­klap­pen, Blut­ge­fä­ßen und Amni­onmem­bra­nen wid­me­te sich die DGFG in 2022 auch der Spen­de von Kno­chen, Seh­nen und Bän­dern (mus­ku­los­ke­letta­le Gewe­be = MSG). Im Rah­men die­ser 28 MSG-Spen­den konn­ten 388 Prä­pa­ra­te gewon­nen wer­den. In der Ver­sor­gung mit Herz­klap­pen zeig­te sich ein ande­res Bild: Nur 144 Herz­klap­pen konn­te die DGFG in 2022 zur Trans­plan­ta­ti­on ver­mit­teln, zehn weni­ger als im Vor­jahr. „Bei mehr als 300 Anfra­gen für eine Herz­klap­pe ist das bedeu­tend zu wenig, wenn man bedenkt, dass hier die Lebens­er­war­tung der Patient:innen drun­ter lei­den muss. Gera­de jun­ge Patient:innen sind auf huma­ne Herz­klap­pen, die mit­wach­sen kön­nen und kei­ne blut­ver­dün­nen­den Medi­ka­men­te erfor­dern, ange­wie­sen. Hier müs­sen wir zusam­men mit den Kli­ni­ken dar­an arbei­ten, die Herz­klap­pen­spen­de nach Herz-Kreis­lauf-Tod aus­zu­bau­en, um eine ver­läss­li­che Alter­na­ti­ve zur Organ­spen­de zu haben“, sagt Börgel.

Groß­teil der Herz­klap­pen stammt aus der Organspende

Nach wie vor ist die Organ­spen­de wich­tig für die Pati­en­ten­ver­sor­gung ins­be­son­de­re mit kar­dio­vas­ku­lä­rem Gewe­be (KVG), d. h. Herz­klap­pen und Blut­ge­fä­ßen: Ins­ge­samt stamm­ten 322 Gewe­be­spen­den von Organspender:innen (10,5 %). Bei 55 Pro­zent die­ser Gewe­be­spen­den konn­te das Herz für die Gewin­nung der noch funk­ti­ons­fä­hi­gen Herz­klap­pen und Gefä­ße ent­nom­men wer­den. Da im Unter­schied zur Organ­spen­de die Gewe­be­spen­de nicht an die Hirn­tod­dia­gnos­tik gebun­den ist, treibt die DGFG seit eini­gen Jah­ren das von der Organ­spen­de unab­hän­gi­ge Pro­gramm der KVG-Spen­de bei Herz-Kreis­lauf-Ver­stor­be­nen vor­an. Eine Ent­nah­me von Herz­klap­pen und Gefä­ßen ist bis zu 36 Stun­den, eine Augen­horn­haut­spen­de sogar bis zu 72 Stun­den nach Todes­ein­tritt mög­lich. „Wir haben in der Gewe­be­spen­de nicht die Situa­ti­on, dass eine Herz­klap­pe genau wie ein Herz bin­nen vier Stun­den nach Ent­nah­me bei Patient:innen implan­tiert wer­den muss. Wir haben bis zu 36 Stun­den Zeit, das Herz zu ent­neh­men und in eine Gewe­be­bank zur Auf­be­rei­tung zu brin­gen. Das medi­zi­ni­sche Scree­ning, die Auf­klä­rungs­ge­sprä­che und Ent­nah­men erfol­gen über unser eige­nes Per­so­nal. Von den Kli­ni­ken benö­ti­gen wir neben einer zeit­na­hen Spen­der­mel­dung und zügi­gen Über­füh­rung der Ver­stor­be­nen in eine Küh­lung auch einen Ent­nah­me­raum. Hier bedarf es noch mehr Unter­stüt­zung auf Kli­nik­sei­te“, so Börgel.

Immer mehr Mediziner:innen grei­fen auf Alter­na­ti­ve zur Amni­onmem­br­an­trans­plan­ta­ti­on zurück

Als Alter­na­ti­ve zur her­kömm­li­chen Amni­onmem­br­an­trans­plan­ta­ti­on, bei der die dün­ne Eihaut aus der müt­ter­li­chen Pla­zen­ta auf die Augen­ober­flä­che genäht wird, grei­fen immer mehr Augen­ärz­tin­nen und ‑ärz­te auf den Amnio­Clip-plus (AC+) zurück. 140 die­ser Clips konn­te die DGFG in 2022 ver­mit­teln, rund 60 Stück mehr im Ver­gleich zum Vor­jahr. Der AC+ ist eine Inno­va­ti­on aus dem DGFG-Netz­werk. Er kann ähn­lich wie eine Kon­takt­lin­se auf das erkrank­te oder ver­letz­te Auge gelegt wer­den. Vor­teil: Die Amni­onmem­bran ist in ein Ring­sys­tem ein­ge­spannt und kann nach erziel­tem Erfolg wie­der her­aus­ge­nom­men wer­den. Eine zusätz­li­che Naht ent­fällt, was für einen scho­nen­de­ren Hei­lungs­er­folg bei Patient:innen sorgt. Gewon­nen wird die Amni­onmem­bran im Rah­men der Pla­zen­tas­pen­de, einer Lebend-Gewe­be­spen­de bei geplan­tem Kai­ser­schnitt. In 2022 konn­te die DGFG 21 Pla­zen­tas­pen­den realisieren.

Über die Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on (DGFG)

Die DGFG för­dert seit 1997 die Gewe­be­spen­de und ‑trans­plan­ta­ti­on in Deutsch­land. Auf Basis des Gewe­be­ge­set­zes von 2007 sind alle Tätig­kei­ten und Ablauf­pro­zes­se der Gewe­be­spen­de gesetz­lich gere­gelt. Für alle Gewe­be­zu­be­rei­tun­gen gilt das Han­dels­ver­bot. Die DGFG ver­mit­telt ihre Trans­plan­ta­te über eine zen­tra­le Ver­mitt­lungs­stel­le mit einer bun­des­wei­ten War­te­lis­te. Jede medi­zi­ni­sche Ein­rich­tung in Deutsch­land kann Gewe­be von der DGFG bezie­hen. Als unab­hän­gi­ge, gemein­nüt­zi­ge Gesell­schaft wird die DGFG aus­schließ­lich von öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen des Gesund­heits­we­sens getra­gen: Gesell­schaf­ter sind das Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Carl Gus­tav Carus Dres­den, das Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Leip­zig, die Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le Han­no­ver, die Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ros­tock sowie das Diet­rich-Bon­hoef­fer-Kli­ni­kum Neu­bran­den­burg. Die DGFG ist in ihrer Auf­bau­struk­tur, der Frei­wil­lig­keit der Unter­stüt­zung durch die Netzwerkpartner:innen und ihrer Unab­hän­gig­keit von pri­va­ten oder kom­mer­zi­el­len Inter­es­sen ein­zig­ar­tig in Deutschland.

Fak­ten – Daten – Hintergrund

3.070 Men­schen spen­de­ten in 2022 Gewe­be – ein neu­er Rekord. Im Ver­gleich zum Vor­jahr konn­te die Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on (DGFG) die Gewe­be­spen­de erneut stei­gern: 53 Gewebespendekoordinator:innen bear­bei­te­ten knapp 45.000 Spen­der­mel­dun­gen, führ­ten 7.915 Auf­klä­rungs­ge­sprä­che und erhiel­ten 3.367 Zustim­mun­gen. 42,5 Pro­zent aller Spender:innen und Ange­hö­ri­gen stimm­ten einer Gewe­be­spen­de zu. Spen­den­stärks­tes Bun­des­land in 2022 ist mit 448 Gewe­be­spen­den Nord­rhein-West­fa­len, dicht gefolgt von Sach­sen mit 446 Gewe­be­spen­den. Ins­ge­samt erhiel­ten 7.111 Patient:innen ein Gewe­be­trans­plan­tat aus dem Netz­werk der DGFG. Trotz die­ser erfreu­li­chen Ent­wick­lung blickt die DGFG besorgt in die Zukunft.

Denn was fehlt sind lebens­ret­ten­de Herz­klap­pen. Wäh­rend die DGFG die Spen­de von Augen­horn­häu­ten aus­bau­en konn­te, muss­te die gemein­nüt­zi­ge Gesell­schaft einen star­ken Rück­gang in der Spen­de von Herz­klap­pen hin­neh­men. Grund dafür ist ins­be­son­de­re der Rück­gang in der Organ­spen­de, aus der noch immer der Groß­teil an Herz­klap­pen gewon­nen wird. Zusätz­lich gefähr­det das im März 2022 in Kraft getre­te­ne Gesetz zur Stär­kung der Ent­schei­dungs­be­reit­schaft bei der Organ­spen­de die Pati­en­ten­ver­sor­gung erheb­lich. Die dar­in fest­ge­schrie­be­nen Zugriffsbeschränkungen[1] auf das geplan­te Regis­ter wer­den den Spen­de­pro­zess behin­dern und zu einem erheb­li­chen Ein­bruch der Spen­de­zah­len füh­ren, soll­te bis zum Regis­ter­start an der Geset­zes­re­form nichts mehr geän­dert werden.

 

Quel­le: Kris­tin Klein­hoff, Pres­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit, Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on (DGFG)
Ori­gi­nal-Con­tent von: Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on gGmbH, über­mit­telt durch news aktuell

Bild­un­ter­schrift: Trotz Aus­baus der Gewe­be­spen­de ver­zeich­net die DGFG in 2022 einen star­ken Rück­gang in der Spen­de von Herz­klap­pen: Hier sank die Anzahl gespen­de­ter Herz­klap­pen von 445 in 2021 auf 320 in 2022.

Bild­rech­te: Deut­sche Gesell­schaft für Gewe­be­trans­plan­ta­ti­on gGmbH
Foto­graf: DGFG