„Berliner Morgenpost“: Die angeschlagene Kirche. Leitartikel von Walter Bau zu Papst Franziskus

Immer mehr Gläubige wenden sich enttäuscht und frustriert von der Kirche ab; eine Entwicklung, die übrigens die evangelische Kirche in gleichem Maße verzeichnet.

Als Bene­dikt XVI. vor knapp zehn Jah­ren spek­ta­ku­lär sein Amt als Papst nie­der­leg­te und sich ins Klos­ter hin­ter den Mau­ern des Vati­kans zurück­zog, hoff­ten vie­le Katho­li­ken, gera­de auch in Deutsch­land, auf die Chan­ce für einen Neu­an­fang in der Amts­kir­che. Bene­dikt galt als Bewah­rer, der in sei­nen acht Jah­ren als Pon­ti­fex der Kir­che kaum neue Impul­se ver­lie­hen hat­te. Heu­te, da Bene­dikts Nach­fol­ger Fran­zis­kus seit knapp einem Jahr­zehnt als Papst amtiert, muss man bilan­zie­ren: Aus dem erhoff­ten „Neu­start“ ist nichts gewor­den, statt­des­sen steckt die katho­li­sche Kir­che tie­fer in der Kri­se denn je. Von Fran­zis­kus als Hoff­nungs­trä­ger ist nicht viel geblieben.

So volks­nah und beschei­den Fran­zis­kus ange­tre­ten war, so unbe­weg­lich und abwei­send zeig­te er sich gegen­über fast allen Vor­schlä­gen für Refor­men. Die Mög­lich­keit der Ehe für Pries­ter, eine stär­ke­re Rol­le von Frau­en in der Kir­che, die Abkehr von der ver­knö­cher­ten Sexu­al­mo­ral – in all die­sen Punk­ten, die vie­le Katho­li­ken bewe­gen, gibt es auch unter dem Papst Fran­zis­kus kei­ne oder kaum Bewe­gung im Vati­kan. Den deut­schen Bischö­fen, die mit ihrem Syn­oda­len Weg eine neue Rich­tung ein­schla­gen wol­len, beschied Fran­zis­kus knapp, Deutsch­land brau­che „kei­ne wei­te­re evan­ge­li­sche Kir­che“. Man sol­le sich doch lie­ber um das Befin­den der Gläu­bi­gen küm­mern, als kir­chen­po­li­ti­sche Dis­kus­sio­nen zu füh­ren. Eine Brüs­kie­rung für die Bischofskonferenz.

Die Fol­gen der reform­kri­ti­schen Hal­tung im Vati­kan sind offen­sicht­lich. Immer mehr Gläu­bi­ge wen­den sich ent­täuscht und frus­triert von der Kir­che ab; eine Ent­wick­lung, die übri­gens die evan­ge­li­sche Kir­che in glei­chem Maße ver­zeich­net. Die Zahl der Men­schen, die bei der Kir­che Halt, Trost und vor allem Ori­en­tie­rung fin­den, sinkt rapi­de. Glau­be und Reli­gi­on wer­den mehr und mehr aus dem All­tag der Gesell­schaft ver­drängt. In der deut­schen Bevöl­ke­rung sind Katho­li­ken und Pro­tes­tan­ten inzwi­schen in der Minderheit.

Die Eupho­rie hier­zu­lan­de war groß, als Joseph Ratz­in­ger 2005 als ers­ter Deut­scher nach einem hal­ben Jahr­tau­send ins Papst­amt gewählt wur­de. Es for­mier­te sich die „Gene­ra­ti­on Bene­dikt“. Als der Papst weni­ge Mona­te nach sei­nem Amts­an­tritt zum Welt­ju­gend­tag nach Köln anreis­te, schall­ten ihm die begeis­ter­ten „Be-ne-det-to“-Sprechchöre Tau­sen­der Jugend­li­cher ent­ge­gen. Doch die­ser Schwung war schnell dahin.

Heu­te deu­tet nichts dar­auf hin, dass Bene­dikt-Nach­fol­ger Fran­zis­kus noch ein­mal die Kraft für einen Kurs­wech­sel auf­bringt – sofern er einen sol­chen über­haupt will. Der Pon­ti­fex ist inzwi­schen 86 Jah­re alt. Öffent­li­che Auf­trit­te, wie zuletzt bei der Christ­met­te an Hei­lig­abend im Peters­dom, absol­viert er wegen eines hart­nä­cki­gen Knie­l­ei­dens meist im Roll­stuhl. Ins­ge­samt wirkt er oben­drein immer öfter müde und ange­schla­gen. Wie schon bei Johan­nes Paul II. und auch bei Bene­dikt XVI. stellt sich inzwi­schen die Fra­ge, wie sehr der Papst noch Chef ist im Vatikan.

Inzwi­schen scheint es sogar nicht mehr aus­ge­schlos­sen, dass Fran­zis­kus nach dem Vor­bild Bene­dikts zurück­tritt. Für den Fall, das Papst­amt nicht mehr aus­üben zu kön­nen, habe er bereits eine Ver­zichts­er­klä­rung unter­zeich­net, sag­te Fran­zis­kus kürz­lich in einem Inter­view. Und ange­spro­chen auf einen mög­li­chen Rück­tritt erklär­te er: „Die Tür steht offen. Das ist eine ganz nor­ma­le Opti­on.“ Für vie­le reform­ori­en­tier­te Katho­li­ken bleibt da nur die vage Aus­sicht auf einen neu­en Hoff­nungs­trä­ger im Vatikan.

Quelle:BERLINER MOR­GEN­POST
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