Die gelben Häuser der Hoffnung

Superintendent Dr. Manuel Schilling besucht mit Delegation aus Kirchenkreis die neue ZUE in Soest

win­ter­berg-total­lo­kal : Die Son­ne ist eine Betrü­ge­rin. Sie taucht das Gelän­de der ehe­ma­li­gen Kanaal van Wes­sem Kaser­ne im Soes­ter Süden in ein spät­som­mer­mil­des Licht und lässt die gel­ben Häu­ser­wän­de leuch­ten. Dar­über spannt sich ein wol­ken­lo­ses Him­mel­blau. Auf den ers­ten Blick ein idyl­li­sches Stück­chen Erde. Erst wenn man in die Gesich­ter der Men­schen schaut, die hier leben, kann man erah­nen, wel­ches Leid, wel­che Furcht, wel­che Ängs­te, wel­che Stra­pa­zen hin­ter die­sen über 600 Frau­en, Män­nern, Kin­dern liegen.

Das wird auch beim Spiel der Kin­der deut­lich, die auf dem Gelän­de toben. Aus bun­ten Lego­stei­nen haben sich eini­ge von ihnen Waf­fen gebaut : Pis­to­len, Geweh­re. Einer hat sogar eine Kalasch­ni­kow zusam­men­ge­bas­telt, die in Pro­por­tio­nen und Aus­se­hen dem Ori­gi­nal sehr nahe kommt ; nur eben deut­lich bun­ter. Kein Wun­der : In Län­dern wie Syri­en oder Afgha­ni­stan, wo Tod und Ter­ror all­ge­gen­wär­tig sind, haben die Kin­der häu­fig nichts ande­res als Krieg ken­nen­ge­lernt. Unbe­schwer­tes Spie­len, wie es die meis­ten Kin­der in Deutsch­land erle­ben, haben sie bis­her nicht erfah­ren dürfen.

Mona­te­lang – man­che jah­re­lang – waren sie auf der Flucht. Auf der Flucht vor Krieg, Fol­ter, Tod, Gewallt, staat­li­cher Will­kür, vor Hun­ger, Durst, Unge­wiss­heit. Über vie­le tau­send Kilo­me­ter haben sie sich auf den Weg ins ver­meint­lich gelob­te Land gemacht. Jetzt sind sie an einem Ort gelan­det, dem der Staat das Wort­un­ge­tüm „Zen­tra­le Unter­brin­gungs-Ein­rich­tung“ (ZUE) ver­passt hat. Aber alle­mal bes­ser als der Begriff Lager, der noch vor gar nicht lan­ger Zeit für sol­che Ein­rich­tun­gen gepflegt wurde.

Der Super­in­ten­dent des Kir­chen­krei­ses Soest, Dr. Manu­el Schil­ling, hat jetzt mit einer klei­nen Dele­ga­ti­on, der Emma­us-Pfar­rer Ste­fan Wey­er, Zeinab El Zein von der Flücht­lings­be­ra­tung der Dia­ko­nie sowie Eli­sa­beth Patzsch, Koor­di­na­to­rin der Flücht­lings­hil­fe im Kir­chen­kreis Soest-Arns­berg, ange­hör­ten, die ZUE besucht, die seit knapp einem hal­ben Jahr am Start ist.

Bereits im März hat­te Schil­ling der ZUE in Ech­trop einen Besuch abge­stat­tet und sich vor Ort infor­miert. „Das nimmt mich sehr mit“, hat­te er damals nach Gesprä­chen mit den Ver­fah­rens­be­ra­tern formuliert.

In Soest wur­de die Grup­pe jetzt von Ver­tre­te­rin­nen der Bezirks­re­gie­rung und den Mal­te­sern, die die Ein­rich­tung betreu­en, emp­fan­gen und über das weit­läu­fi­ge Gelän­de geführt. „Aus unse­rer Sicht ist es ein christ­lich-ethi­scher Anspruch, die­sen Men­schen Schutz zu geben“, hat­te Schil­ling gleich zu Beginn des Gesprächs die Posi­ti­on der Evan­ge­li­schen Kir­che zur Flücht­lings­the­ma­tik deut­lich gemacht und dar­auf ver­wie­sen, wie wich­tig es sei, eine Brü­cke zwi­schen den Geflo­he­nen und der Gesell­schaft in Stadt und Land zu bau­en : „Wir wis­sen natür­lich um die Gefahr der Spal­tung und um den Hass, der die­sen Men­schen oft begeg­net. Umso wich­ti­ger ist es für uns als Kir­che, dem ent­ge­gen zu wir­ken und aktiv am gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis zu arbeiten.“

Ein Ange­bot, das Ein­rich­tungs­lei­te­rin Sabi­ne Heynen dan­kend annahm : „Wir sind dar­auf ange­wie­sen, von außen mit­ge­tra­gen zu wer­den, nur dann wird eine Ein­rich­tung wie die­se von der über­wie­gen­den Mehr­heit der Gesell­schaft akzeptiert.“

Die Frau­en, Män­ner und Kin­der, die in den für knapp 37 Mil­lio­nen Euro vom Land durch­re­no­vier­ten, ehe­ma­li­gen Kaser­nen­blö­cken leben, bezeich­ne­te Heynen als „Men­schen auf Zeit“. Unter den aktu­ell 630 Men­schen sind über 200 Kin­der. Des­halb gibt es eine Kin­der­be­treu­ungs­ein­rich­tung und ein schu­li­sches Ange­bot, das von Leh­re­rin­nen und Leh­rern der Soes­ter Gesamt­schu­le mög­lichst täg­lich an den Wochen­ta­gen vor­ge­hal­ten wird.

„Es han­delt sich um ein schul­na­hes Bil­dungs­an­ge­bot“, erläu­tert Ursu­la Reuß, zustän­dig für die Unter­brin­gung und Betreu­ung von Flücht­lin­gen bei der Bezirks­re­gie­rung Arns­berg. Aktu­ell wer­den 120 Kin­der im Alter zwi­schen 6 und 17 Jah­ren beschult. Reuß : „Das wird gut ange­nom­men. Für vie­le der Kin­der ist es das ers­te Mal, dass sie über­haupt eine Schul­bank drü­cken. Des­halb ist jeder Tag, an dem unser Ange­bot ange­nom­men wird, auch ein Erfolg.“

Wäh­rend die Fami­li­en mög­lichst schnell (maxi­mal sechs Mona­te) in ande­re Kom­mu­nen zuge­wie­sen wer­den sol­len, um ihnen zumin­dest so etwas wie eine vor­läu­fi­ge Zukunfts­per­spek­ti­ve zu geben, ist das bei den allein­rei­sen­den Geflüch­te­ten (in der Regel Män­ner) etwas anders. Sie kön­nen bis zu zwei Jah­re in der Ein­rich­tung bleiben.

Um sie küm­mern sich vor allem Ali­sa Riehe­mann, stell­ver­tre­ten­de Lei­te­rin des Mal­te­ser-Betreu­ungs­diens­tes, und Umfeld-Mana­ger Jakob Schul­te mit einem viel­köp­fi­gen Team. „Wir sind für die Tages­struk­tur zustän­dig“, skiz­ziert Riehe­mann das Auf­ga­ben­feld, zu dem Qua­li­fi­zie­rungs­an­ge­bo­te (vor allem Spra­che) eben­so gehö­ren wie etwa ein Job-Scree­ning. „Wir wol­len gemein­sam mit dem Geflüch­te­ten eine Per­spek­ti­ve ent­wi­ckeln, aber auch Wer­te und Nor­men ver­mit­teln, die für ein kon­flik­t­ar­mes Zusam­men­le­ben wich­tig sind.“

Inwie­weit das gelingt, hängt natür­lich immer von jedem ein­zel­nen ab. „Das ist wie über­all“, erläu­tert Sabi­ne Heynen, „letz­ten Endes muss man es auch wirk­lich wol­len. Wir kön­nen nur Ange­bo­te machen.“

Beim anschlie­ßen­den Rund­gang zeig­ten sich Super­in­ten­dent Dr. Manu­el Schil­ling und sei­ne Beglei­ter sicht­lich ange­tan von der Ein­rich­tung und dem Enga­ge­ment der dort Arbei­ten­den. „Ich bin wirk­lich tief beein­druckt“, sag­te Schil­ling. „Wir als Kir­che müs­sen nun Wege und Mög­lich­kei­ten fin­den, wie wir Ihre Arbeit hier vor Ort unter­stüt­zen kön­nen. Dar­über wer­den wir uns nun Gedan­ken machen und dann wie­der­kom­men. Das sehe ich nach die­sem Gespräch als unse­ren Auf­trag an.“

HIN­TER­GRUND

In Nord­rhein-West­fa­len kom­men Geflüch­te­te zunächst in die Lan­des-Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung (LEA) in Bochum. Von hier wer­den sie nach einer medi­zi­ni­schen Erst­ver­sor­gung sowie nach Klä­rung der Per­so­na­li­en in eine Erst­auf­nah­me-Ein­rich­tung (EAE) ver­wie­sen. Dort fin­den medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen, teil­wei­se wei­te­re Regis­trie­run­gen und die Asyl­an­trag­stel­lung beim BAMF statt. Von dort geht es wei­ter in die Zen­tra­le Unter­brin­gungs-Ein­rich­tung (ZUE). Im Kreis Soest gibt es davon mit Soest, Ech­trop und Wicke­de aktu­ell drei. Ziel ist es, nach ver­gleichs­wei­se kur­zer Zeit den Flüch­lings­sta­tus fest­zu­stel­len und eine Wei­ter­lei­tung in eine Kom­mu­ne zu ermöglichen.

Die ZUE in Soest ist seit April die­ses Jah­res am Start und ist für bis zu 1200 Men­schen aus­ge­legt. Zuletzt hat es einen ver­gleichs­wei­se star­ken Zuwachs gege­ben, weil ein Teil der Men­schen aus den Eva­ku­ie­rungs­flü­gen aus Afgha­ni­stan, die nach Nord­rhein-West­fa­len gekom­men sind, Soest zuge­wie­sen wur­den. Das waren nach Aus­kunft der Bezirks­re­gie­rung etwa 200 Frau­en Män­ner und Kinder.

In der Soes­ter Ein­rich­tung gibt es knapp 100 Stel­len für die Betreu­ung der Geflüch­te­ten sowie die Orga­ni­sa­ti­on der Einrichtung.

Quel­le : Hans-Albert Lim­b­rock – Ev. Kir­chen­kreis Soest-Arnsberg

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