Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stärken – Gedenkstättenarbeit sichern !

Erklärung des Verbandes der Gedenkstätten in Deutschland e.V. (VGDF) und der Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland

win­ter­berg-total­lo­kal : Die Bun­des­tags­wahl ist eine Rich­tungs­ent­schei­dung, die Aus­wir­kun­gen auch auf die Arbeit der Gedenk­stät­ten an Orten der NS-Ver­bre­chen haben wird. 1998 leg­te die Bun­des­re­gie­rung erst­mals eine Gedenk­stät­ten­kon­zep­ti­on vor, mit der der Bund – ohne die Kul­tur­ho­heit  der Län­der anzu­tas­ten – sei­ne Ver­ant­wor­tung für die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus und für die Arbeit an Gedenk­stät­ten mit natio­na­ler Bedeu­tung aner­kann­te. Seit­her sind mit finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung des Bun­des zahl­rei­che Gedenk­stät­ten in Deutsch­land auf­ge­baut, neu­ge­stal­tet und erwei­tert wor­den ; etli­che Ein­rich­tun­gen, etwa die grö­ße­ren KZ-Gedenk­stät­ten, wer­den zudem dau­er­haft insti­tu­tio­nell vom Bund geför­dert. Zusam­men betreu­en die Gedenk­stät­ten jähr­lich meh­re­re Mil­lio­nen Besucher:innen, vie­le davon im Rah­men inno­va­ti­ver und teils mehr­tä­gi­ger Bil­dungs­pro­jek­te. Das seit 2020 an über 30 Orten umge­setz­te und pri­mär vom Bund finan­zier­te Pro­jekt „Jugend erin­nert“ ist hier­bei beson­ders hervorzuheben.

Die aktu­el­le Ver­brei­tung von anti­se­mi­ti­schen Ver­schwö­rungs­le­gen­den und ver­harm­lo­sen­den NS-Ver­glei­chen durch Pandemieleugner:innen sowie das Erstar­ken von Natio­na­lis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus, die Het­ze von AfD und ande­ren extrem rech­ten Par­tei­en gegen den angeb­li­chen „Schuld­kult“ machen deut­lich, wie wich­tig ein refle­xi­ves Geschichts­be­wusst­sein für unse­re demo­kra­ti­sche Kul­tur und Gesell­schafts­ord­nung ist – erst recht in einer Zeit, in der es kaum noch Über­le­ben­de des NS-Ter­rors gibt, die war­nend ihre Stim­men erhe­ben kön­nen. Bedau­er­li­cher­wei­se fin­det die Erin­ne­rungs­kul­tur in den Wahl­pro­gram­men der Bun­des­tags­par­tei­en kei­nen ange­mes­se­nen Nie­der­schlag („Wahl­pro­gram­me : Leer­stel­le Erin­nern“, Jüdi­sche All­ge­mei­ne, 20.08.2021) Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus ist aber grund­le­gend für unse­re demo­kra­ti­sche Selbst­ver­stän­di­gung und muss es auch in Zukunft blei­ben. Vor die­sem Hin­ter­grund hat der VGDF die kul­tur­po­li­ti­schen Sprecher:innen der Bun­des­tags­frak­tio­nen um eine Stel­lung­nah­me zu zen­tra­len For­de­run­gen gebe­ten. Die Ant­wor­ten sind ver­öf­fent­licht unter https://​www​.gedenk​staet​ten​ver​band​.de/​n​e​u​i​g​k​e​i​t​e​n​/​w​a​h​l​p​r​u​e​f​s​t​e​i​n​e​-​b​u​n​d​e​s​t​a​g​s​w​a​h​l​-​2​0​21/.

Von der künf­ti­gen Bun­des­re­gie­rung erwar­ten wir eine wei­te­re Stär­kung der Gedenk­stät­ten­ar­beit in den Auf­ga­ben­be­rei­chen Bil­dung, For­schung, Samm­lung und Erhal­tung. Das setzt eine nach­hal­ti­ge und über den Sta­tus quo deut­lich hin­aus­ge­hen­de per­so­nel­le und mate­ri­el­le Aus­stat­tung vor­aus, die auch der zuneh­men­den Digi­ta­li­sie­rung in der Gedenk­stät­ten­ar­beit gerecht wird.

Kon­kret heißt das :

  • Die För­de­rung der Gedenk­stät­ten, Erin­ne­rungs­or­te und ‑initia­ti­ven, Arbeits­ge­mein­schaf­ten und Doku­men­ta­ti­ons­zen­tren muss topo­gra­fisch und the­ma­tisch die Band­brei­te der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen und ihrer Fol­gen abbil­den. Sie soll­te auch Orte des Wider­stan­des sowie Täter­or­te und exem­pla­ri­sche Orte natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Selbst­in­sze­nie­rung umfas­sen. Erfolg­rei­che Ver­mitt­lung setzt wis­sen­schaft­lich fun­dier­te For­schung und Doku­men­ta­ti­on vor­aus. Die neue Bun­des­re­gie­rung muss ein För­der­instru­ment für die anwen­dungs­be­zo­ge­ne For­schung in den Gedenk­stät­ten schaffen.
  • Ohne eine ver­bes­ser­te Grund­aus­stat­tung etwa in den Berei­chen IT und Verwaltung,
    aber auch auf den Fel­dern der For­schung und Ver­mitt­lung wer­den die institutionell
    vom Bund geför­der­ten Gedenk­stät­ten ihre bis­he­ri­ge erfolg­rei­che Arbeit nicht fort­set­zen können.
  • Gedenk­stät­ten, die bis­lang weit­ge­hend aus Pro­jekt­mit­teln geför­dert wur­den oder
    wer­den, brau­chen eine ver­läss­li­che Zukunfts­per­spek­ti­ve. Hier sind auch die Länder
    und die Kom­mu­nen gefordert.
  • Die För­de­rung inno­va­ti­ver Bil­dungs­for­ma­te soll­te wei­ter aus­ge­baut wer­den. Die
    Ver­ste­ti­gung des erfolg­rei­chen, auch die Arbeit klei­ne­rer Gedenk­stät­ten unter­stüt­zen­den För­der­pro­gramms „Jugend erin­nert“ kann dazu einen wich­ti­gen Bei­trag leisten.
  • Zugleich dür­fen grund­le­gen­de Dau­er­auf­ga­ben nicht ver­nach­läs­sigt wer­den, etwa
    der Auf­bau und die Pfle­ge von Samm­lun­gen und Archi­ven. Die­se las­sen sich nicht
    allein über Pro­jekt­för­de­run­gen absichern.
  • Zur Ver­net­zung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Gedenk­stät­ten bedarf es einer Wei­ter­ent­wick­lung des Gedenk­stät­ten­re­fe­rats in der Stif­tung Topo­gra­phie des Ter­rors sowie der För­de­rung der VGDF-Strukturen.

Wir erwar­ten, dass die neue Bun­des­re­gie­rung ihrer Ver­ant­wor­tung für eine demo­kra­ti­sche Geschichts- und Erin­ne­rungs­kul­tur gerecht wird. Das gemein­sa­me Ziel muss es sein, die Opfer des NS-Ter­rors zu wür­di­gen und ein refle­xi­ves Geschichts­be­wusst­sein sowie his­to­ri­sches Urteils­ver­mö­gen in der Gesell­schaft zu stärken.

Über den Ver­band der Gedenk­stät­ten in Deutsch­land e.V.

Der 2020 gegrün­de­te Ver­band der Gedenk­stät­ten in Deutsch­land e.V. /FORUM (VGDF) ist die Dach­or­ga­ni­sa­ti­on von über 300 Gedenk­stät­ten. Der VGDF umfasst die Lan­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten der Gedenk­stät­ten, Erin­ne­rungs­or­te und ‑initia­ti­ven, die Arbeits­ge­mein­schaft KZ-Gedenk­stät­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und das Gedenk­stät­ten­re­fe­rat der Topo­gra­phie des Ter­rors. In der Arbeits­ge­mein­schaft KZ-Gedenk­stät­ten haben sich die insti­tu­tio­nell vom Bund geför­der­ten Gedenk­stät­ten Ber­gen-Bel­sen, Buchen­wald, Dach­au, Flos­sen­bürg, Mit­tel­bau Dora, Neu­en­gam­me, Ravens­brück und Sach­sen­hau­sen zusammengeschlossen.

Bild von links nach rechts :

  • Prof. Dr. Pau­la Lutum-Len­ger, Geschichts­ort Hotel Sil­ber / Haus der Geschich­te Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Jens-Chris­ti­an Wag­ner, Stif­tung Gedenk­stät­ten Buchen­wald und Mittelbau-Dora
  • Dr. Elke Gry­glew­ski, Stif­tung nie­der­säch­si­sche Gedenkstätten
  • Dr. Tho­mas Köcher, Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung Bremen
  • Dr. Tho­mas Lutz, Gedenk­stät­ten­re­fe­rat der Stif­tung Topo­gra­phie des Ter­rors (Ber­lin)
  • Im Pro­fil im Vor­der­grund : Kirs­ten John-Stu­cke, Kreis­mu­se­um Wewelsburg

Quel­le : Ver­band der Gedenk­stät­ten in Deutsch­land e.V./FORUM Arbeits­ge­mein­schaft KZ-Gedenkstätten

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