Hochwasser- und Sturzflutvorsorge muss in der Fläche beginnen

Jeder Kubikmeter Wasserrückhalt in der Fläche reduziert das Schadensausmaß durch Hochwasser und Sturzfluten

win­ter­berg-total­lo­kal : Damit Nie­der­schlags­was­ser nicht so schnell ober­flä­chig abfließt, muss die Flä­chen­nut­zung ange­passt wer­den. Tech­ni­sche Maß­nah­men und Warn­sys­te­me wer­den allei­ne nicht aus­rei­chen, um die Gefah­ren zu redu­zie­ren und das Scha­dens­aus­maß zu vermindern.

Die sehr aus­ge­präg­ten Stark­re­gen­er­eig­nis­se mit außer­ge­wöhn­lich ergie­bi­gen und groß­flä­chig auf­ge­tre­te­nen Nie­der­schlä­gen haben zu ver­hee­ren­dem Hoch­was­ser und rei­ßen­den Sturz­flu­ten in Nord­rhein-West­fa­len, Rhein­land-Pfalz, Ost­sach­sen und Süd­bay­ern geführt. Die Geschäfts­füh­re­rin des Bun­des­ver­ban­des Boden e.V. (BVB), Mai­ke Bosold, bezieht Stellung :

Das Aus­maß der Schä­den und die hohe Anzahl an Todes­op­fern hät­te durch koor­di­nier­te Vor­sor­ge­maß­nah­men redu­ziert wer­den kön­nen. Dabei rei­chen tech­ni­sche und orga­ni­sa­to­ri­sche Schutz­maß­nah­men nicht aus, die Hoch­was­ser­vor­sor­ge muss vor allem in der Flä­che begin­nen. Das Ent­ste­hen von schnel­lem Ober­flä­chen­ab­fluss in den Hoch­was­ser­ent­ste­hungs­ge­bie­ten und das Zusam­men­flie­ßen wild abflie­ßen­den Was­sers in den Tal­la­gen wird im erheb­li­chen Aus­maß durch mensch­li­che Ein­flüs­se ver­stärkt, wodurch das Risi­ko von Unwet­ter­schä­den deut­lich erhöht wird. Die Ver­sie­ge­lung durch immer mehr Siedlungs‑, Gewer­be- und Ver­kehrs­flä­chen, der zu gerin­ge Was­ser­rück­halt auf land- und forst­wirt­schaft­li­chen Flä­chen und vor allem die schnel­le Nie­der­schlags­ab­lei­tung ver­schär­fen die Hoch­was­ser­ri­si­ken. Neben den Maß­nah­men zur Scha­dens­be­sei­ti­gung und dem Wie­der­auf­bau muss der effek­ti­ven Umset­zung von Vor­sor­ge­maß­nah­men viel mehr Bedeu­tung zukom­men”.

Die außer­ge­wöhn­lich hohen Schä­den durch die ver­gan­ge­nen Hoch­was­ser­er­eig­nis­se gehen auf vier unter­schied­li­che, durch den Men­schen geför­der­te oder ver­ur­sach­te Ursa­chen zurück, die grund­sätz­lich zusam­men­wir­ken und sich in ihren Aus­wir­kun­gen gegen­sei­tig verstärken :

  1. die fort­schrei­ten­de Boden­ver­sie­ge­lung, wodurch immer weni­ger Flä­che für die natür­li­che Ver­si­cke­rung von Nie­der­schlags­was­ser zur Ver­fü­gung steht ;
  2. die abfluss­för­dern­de Land­nut­zung, wodurch die Was­ser­ero­si­on und das bei Stark­re­gen­er­eig­nis­sen abge­schlämm­te Boden­ma­te­ri­al deut­lich erhöht wird ;
  3. das stark beschleu­nig­te Zusam­men­flie­ßen der Was­ser­mas­sen durch das dich­te Wege- und Entwässerungsnetz ;
  4.  der Kli­ma­wan­del, durch den sich Häu­fig­keit und Inten­si­tät von Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se mit Stark­re­gen und Sturz­flu­ten, aber auch aus­ge­präg­ten Dür­re­pe­ri­oden, deut­lich erhö­hen werden.

Der Bun­des­ver­band Boden e.V. for­dert eine umfas­sen­de Hoch­was­ser- und Sturz­flut­vor­sor­ge, wobei dem vor­sor­gen­den Boden­schutz mehr Bedeu­tung zukom­men muss. Poli­tik und Gesell­schaft müs­sen sich fol­gen­den Her­aus­for­de­run­gen stellen :

  1. Die fort­schrei­ten­de Boden­ver­sie­ge­lung muss end­lich wirk­sam ein­ge­schränkt wer­den. Ein Net­to-Null-Zuwachs an Flä­chen­ver­sie­ge­lung bis spä­tes­tens im Jahr 2040 muss poli­tisch ver­bind­lich fest­ge­legt wer­den, um die unver­zicht­ba­ren Öko­sys­tem­leis­tun­gen, ins­be­son­de­re den dezen­tra­len Was­ser­rück­halt, der Böden zu erhal­ten. Jeder Qua­drat­me­ter Boden­ver­sie­ge­lung führt zu einem Ver­lust an Was­ser­spei­che­rung von bis zu 600 Litern, bezo­gen auf einen durch­wur­zel­ba­ren Boden­raum bis 2 m Tie­fe. Der wei­te­re Aus­bau tech­ni­scher Was­ser­rück­hal­te­ein­rich­tun­gen ver­ur­sacht enor­me Kos­ten, ohne bei Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen aus­rei­chen­den Schutz zu gewähren.
  2. Die Land­wirt­schaft muss durch eine scho­nen­de Boden­be­wirt­schaf­tung zum dezen­tra­len Was­ser­rück­halt bei­tra­gen. Die schnel­le Abfluss­bil­dung und Abschwem­mung von Boden­mas­sen wäh­rend eines Unwet­ters kön­nen nur mit einer dich­ten Pflan­zen­decke und intak­ten Boden­struk­tur effek­tiv gemin­dert wer­den. Zur Ver­bes­se­rung der Was­ser­in­fil­tra­ti­on sind Boden­sch­ad­ver­dich­tun­gen unbe­dingt zu ver­mei­den und abfluss­för­dern­den Kul­tu­ren (Mais, Zucker­rü­ben etc.) nur im Mulch- oder Direkt­saat­ver­fah­ren anzu­bau­en. Eine mög­lichst ganz­jäh­ri­ge Boden­be­de­ckung ist umzu­set­zen. In beson­ders abfluss- und ero­si­ons­ge­fähr­de­ten Hang­la­gen ist (wie­der) eine Grün­land­nut­zung zu etablieren.
  3. Auch die Forst­wirt­schaft muss reagie­ren. Durch immer schwe­re­re Voll­ern­te­ma­schi­nen kommt es auf ca. 5 bis 10 % der Wald­flä­che zu teils erheb­li­chen Boden­sch­ad­ver­dich­tun­gen. Einer beschleu­nig­ten Abfluss­bil­dung ist durch eine stand­ort­an­ge­pass­te Baum­ar­ten­zu­sam­men­set­zung sowie Sicker­mul­den, Fang­grä­ben, Schutz­strei­fen etc. entgegenzuwirken.
  4. Statt den Abfluss in Gra­ben- und Kana­li­sa­ti­ons­sys­te­men zu kon­zen­trie­ren und damit zu beschleu­ni­gen, sind geeig­ne­te Maß­nah­men zur dezen­tra­len Nie­der­schlags­ver­si­cke­rung und Abfluss­ver­zö­ge­rung umzu­set­zen. Für eine wirk­sa­me Abfluss­ver­zö­ge­rung ste­hen eine Viel­zahl an erprob­ten Maß­nah­men zur Ver­fü­gung (Grün­strei­fen, Gewäs­ser­rand­strei­fen, Hecken und Feld­ge­höl­ze, klein­tei­li­ge­re Flä­chen­glie­de­rung, ange­pass­te Wege- und Gewäs­ser­plä­ne, dau­er­haft begrün­te Abfluss­mul­den, Klein­st­rück­halt in Wege­sei­ten­grä­ben, Ver­si­cke­rungs­mul­den, Flur­neu­ord­nung etc.).
  5. Zu Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del muss die Vor­sor­ge vor Sturz­flu­ten und extre­men Hoch­was­ser­er­eig­nis­sen wirk­sam ver­bes­sert wer­den. Neben der Ana­ly­se der Fließ­we­ge im Ein­zugs­ge­biet müs­sen in inte­grier­ten Hoch­was­ser­schutz­kon­zep­ten Bewirt­schaf­tungs­maß­nah­men auf Feld­ebe­ne mit Maß­nah­men auf Ein­zugs­ge­biets­ebe­ne sinn­voll kom­bi­niert wer­den. Sol­che dezen­tra­len Was­ser­rück­hal­te­maß­nah­men zie­len dar­auf ab, den größt­mög­li­chen Schutz vor Sturz­flu­ten und Über­schwem­mun­gen zu erreichen.
  6. Eine Sied­lungs­er­wei­te­rung in Über­schwem­mungs­ge­bie­ten und bevor­zug­te Abfluss­we­ge hin­ein ist zu unter­bin­den. Wei­ter­hin ist abzu­wä­gen, ob in den beson­ders gefähr­de­ten Berei­chen wirk­lich alle beschä­dig­ten Stra­ßen und Gebäu­de wie­der­her­zu­stel­len sind. Neben dem Schutz und der Erwei­te­rung der frei­zu­hal­ten­den Über­schwem­mungs­ge­bie­te ist den Fließ­ge­wäs­sern wie­der mehr Raum zur frei­en Ent­wick­lung bereit­zu­stel­len ; dazu sind Gewäs­ser­ent­wick­lungs­kor­ri­do­re und Gewäs­ser­rand­strei­fen festzulegen.

Auch wenn durch die Umset­zung von Vor­sor­ge­maß­nah­men Schä­den durch Stark­re­gen­er­eig­nis­se und Sturz­flu­ten nicht grund­sätz­lich aus­ge­schlos­sen wer­den kön­nen, lässt sich das Scha­dens­aus­maß erheb­lich ver­min­dern. Hier­zu lie­gen seit lan­gem umfang­rei­che und detail­lier­te Stu­di­en und Pro­jekt­er­geb­nis­se vor. Es besteht kein Wis­sens­de­fi­zit, son­dern ein erheb­li­ches Rege­lungs- und Umset­zungs­de­fi­zit sowohl in der Lan­des­pla­nung als auch der kom­mu­na­len Ver­wal­tung, das drin­gend abge­baut wer­den muss, damit sol­chen dra­ma­ti­schen Hoch­was­ser­er­eig­nis­sen bes­ser vor­ge­beugt wer­den kann. Dazu sind fach­li­che, aber auch admi­nis­tra­ti­ve Kom­pe­ten­zen und Struk­tu­ren zum dezen­tra­len Was­ser­rück­halt in den Pla­nungs- und Ver­wal­tungs­be­hör­den aufzubauen.

Mehr Infor­ma­tio­nen zum Boden­schutz und Hoch­was­ser : https://​www​.bvbo​den​.de/​l​i​n​k​s​/​w​e​i​t​e​r​e​-​l​i​nks

Bun­des­ver­band Boden e.V.

Mit knapp 600 für den Boden­schutz arbei­ten­den Mit­glie­dern ist der Bun­des­ver­band Boden e.V. der ein­zi­ge Bun­des­ver­band für den vor­sor­gen­den Boden­schutz in Deutsch­land. Ziel des seit 25 Jah­ren akti­ven Ver­ban­des ist der Schutz und die Erhal­tung des Bodens als Bestand­teil des Natur­haus­hal­tes mit sei­nen natür­li­chen Boden­funk­tio­nen, sei­nen Archiv- und Nut­zungs­funk­tio­nen sowie als Lebens­grund­la­ge und Lebens­raum für Men­schen, Tie­re und Pflanzen.

Bild : Sturz­flut auf einer gering bedeck­ten und durch Befah­rung geschä­dig­ten Acker­flä­che im Ber­gi­schen Land, Nordrhein-Westfalen

Foto­credits : Bun­des­ver­band Boden e.V. / Dr. Nor­bert Feldwisch

Ori­gi­nal-Con­tent von : Bun­des­ver­band Boden e.V., über­mit­telt durch news aktuell

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