Stichwort der Woche : Politisches Artensterben

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen

win­ter­berg-total­lo­kal : Laut Arten­schutz­be­richt nimmt das welt­wei­te Arten­ster­ben inzwi­schen dra­ma­ti­sche Aus­ma­ße an. Aber auch in der euro­päi­schen Poli­tik kann man der­zeit das Aus­ster­ben einer ver­trau­ten Art beob­ach­ten. Ich mei­ne das Ver­schwin­den der Volks­par­tei­en. Wie bei allen ande­ren Arten sind es meh­re­re Ursa­chen, die dafür ver­ant­wort­lich sind. Volks­par­tei­en waren über vie­le Jahr­zehn­te hin­weg ein treu­er Part­ner des Men­schen in der Demo­kra­tie. Was sie aus­zeich­ne­te war eine gro­ße Band­brei­te poli­ti­scher Strö­mun­gen inner­halb der Par­tei und eine gewis­se Boden­haf­tung ihrer Abge­ord­ne­ten, die, gemäß Mar­tin Luther, „dem Volk aufs Maul schau­ten“. Das not­wen­di­ge Bio­top für sol­che Volks­par­tei­en war der poli­ti­sche Wett­be­werb von zwei oder meh­re­ren gesell­schaft­li­cher Strö­mun­gen, vor­nehm­lich kon­ser­va­tiv auf der einen und pro­gres­siv oder libe­ral auf der ande­ren Sei­te. Solan­ge die Abge­ord­ne­ten im Gro­ßen und Gan­zen die poli­ti­sche Mei­nung ihrer Wäh­ler­mehr­heit ver­tra­ten, konn­ten sie, meist in einer Koali­ti­on mit einer klei­ne­ren Par­tei, eine sta­bi­le Mehr­heit errei­chen und über eine oder meh­re­re Legis­la­tur­pe­ri­oden hin­weg, ihre poli­ti­schen Zie­le umsetzen.

Im Lau­fe der Jah­re änder­te sich jedoch die Rol­le der Abge­ord­ne­ten. Die Ver­tre­ter aus ver­schie­de­nen Berufs­grup­pen, auf der einen Sei­te Bau­ern, Hand­wer­ker und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­mer, auf der ande­ren Sei­te Arbei­ter, Ange­stell­te und Gewerk­schaf­ter, wur­den immer mehr durch pro­fes­sio­nel­le Berufs­po­li­ti­ker ersetzt. Die­se opfer­ten die eigent­li­chen poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen ihrer Wäh­ler immer mehr den soge­nann­ten „poli­ti­schen Sach­zwän­gen“ und ver­tra­ten zuneh­mend eine Poli­tik, die sich immer wei­ter von den Wün­schen ihrer Wäh­ler ent­fern­te. Schuld dar­an war auch die Tat­sa­che, dass sich die­se Berufs­po­li­ti­ker immer mehr der Boden­haf­tung ent­le­digt hat­ten und in ihren eige­nen Sphä­ren schweb­ten. Wäh­rend es frü­her im Ide­al­fall so war, dass die Par­tei „auf der rech­ten Sei­te“ eine wirt­schafts­freund­li­che Poli­tik mach­te und so die Wirt­schaft zum Lau­fen brach­te, sorg­te danach die Par­tei „auf der lin­ken Sei­te“ dafür, dass die Gewin­ne sozi­al gerecht ver­teilt wur­den. Ganz so ein­fach war es natür­lich nicht, denn auch die eher wirt­schafts­freund­li­che Par­tei hat­te einen „sozia­len Flü­gel“ und die eher sozia­le Par­tei hat­te einen Wirt­schafts­flü­gel, aber ins­ge­samt funk­tio­nier­te die Poli­tik in vie­len euro­päi­schen Demo­kra­tien so.

Durch Berufs­po­li­ti­ker als Abge­ord­ne­te ver­wisch­ten sich die Gren­zen zwi­schen den bei­den poli­ti­schen Lagern zuneh­mend. Dazu kamen exter­ne Ein­flüs­se, wie Glo­ba­li­sie­rung und Lob­by­is­mus. Das führ­te dazu, dass man die Par­tei­en kaum noch unter­schei­den konn­te. Der nächs­te Schritt waren dann die soge­nann­ten „Gro­ßen Koali­tio­nen“, die zu sta­bi­len Mehr­heits­ver­hält­nis­sen füh­ren soll­ten. Damit haben sich die Volks­par­tei­en jedoch sel­ber den Todes­stoß ver­setzt, weil sich die Wäh­ler jetzt nach Alter­na­ti­ven umschau­ten. Inzwi­schen sind die ehe­mals gro­ßen Volks­par­tei­en teil­wei­se auf Zwer­gen­grö­ße geschrumpft oder sogar schon ganz ver­schwun­den. Ob es jeman­dem gelingt die­se Spe­zi­es noch zu ret­ten ? Man mag dar­an sei­ne Zwei­fel haben, da ihnen selbst offen­sicht­lich jeg­li­cher Über­le­bens­wil­le fehlt.

Ihr Nor­bert Schnellen

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