Stichwort der Woche : Fliegende Dreckschleudern

Brilon-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen

bri­lon-total­lo­kal : Unse­re Poli­ti­ker tun es, Mana­ger tun es, „wich­ti­ge Mit­ar­bei­ter“ tun es, Jour­na­lis­ten tun es und die brei­te Mas­se der Bevöl­ke­rung tut es auch – flie­gen ! Es gibt kei­ne Fort­be­we­gungs­art, die einem Men­schen mehr Gel­tung ver­leiht als das Flie­gen und kei­ne, die unser Kli­ma stär­ker belas­tet. Flie­gen ist die größt­mög­li­che Schä­di­gung, die wir unse­rer Umwelt mit lega­len Mit­teln zufü­gen kön­nen. Trotz­dem gilt es als schick und kaum einer traut sich die Umwelt­ver­schmut­zung durch den Flug­ver­kehr zu the­ma­ti­sie­ren, weil das ja abso­lut uncool wäre. Somit ist der Luft­ver­kehr die Wachs­tums­bran­che schlecht­hin, der Bau und Aus­bau von Flug­hä­fen und Lan­de­bah­nen ist inter­na­tio­nal am boo­men (na gut, mal von Ber­lin-Bran­den­burg abge­se­hen) und Boe­ing pro­du­ziert Flug­zeu­ge noch schnel­ler, wie sie dann wie­der vom Him­mel fal­len. Über alle Tech­no­lo­gien, die unse­re Umwelt zer­stö­ren, wird inzwi­schen dis­ku­tiert, allein die Flie­ge­rei genießt ein weit­ge­hend unbe­hel­lig­tes Dasein. Dabei beträgt im Ver­kehrs­sek­tor der Anteil an der Luft­ver­schmut­zung durch den Luft­trans­port 45% und durch den gesam­ten Stra­ßen­ver­kehr 46%. Wäh­rend sogar im Auto­land Deutsch­land der Druck auf die Auto­mo­bil­in­dus­trie wächst, obwohl dar­an Mil­lio­nen von Arbeits­plät­zen hän­gen, zieht die Luft­fahrt­bran­che, unbe­hel­ligt von öffent­li­chem Gegen­wind, wei­ter­hin ruhig ihre Krei­se. Wie kommt das ?

Nach dem 2. Welt­krieg begann ein Kon­sum­wachs­tum ohne Ende. Nach der Fress­wel­le und der Auto­wel­le kam die Urlaubs­wel­le. Zuerst ging es mit dem Auto nach Ita­li­en, spä­ter mit dem Flie­ger nach Mal­le. Das „Bil­dungs­bür­ger­tum“ such­te auf Fern­rei­sen nach Erleuch­tung und wer es beruf­lich geschafft hat­te flog zu Mee­tings und Ter­mi­nen im In- und Aus­land. Obwohl es alle machen, hat das Flie­gen doch noch etwas Eli­tä­res an sich, denn der größ­te Teil der Mensch­heit kann sich die­se Art der Fort­be­we­gung nun mal nicht leis­ten. Die gro­ße Fra­ge ist aber, ob wir es uns noch lan­ge leis­ten kön­nen. Finan­zi­ell sicher, aber auch öko­lo­gisch ? In Schwe­den, einem Land, des­sen Bevöl­ke­rung welt­weit zu den Viel­flie­gern gehört, tauch­te in letz­ter Zeit der Begriff „Flygs­kam“, also Flug­scham auf. Nicht unbe­tei­ligt dar­an ist die Umwelt­be­we­gung hin­ter Gre­ta Thun­berg. Ob die Schwe­den dadurch wirk­lich weni­ger flie­gen ist noch nicht zu ermit­teln, aber zumin­dest schä­men sie sich dafür.

Das ist in Deutsch­land der­zeit noch undenk­bar. Mal eben zum Shop­pen nach New York (4 to. CO2), nach dem Abi „Work and Tra­vel“ in Aus­tra­li­en oder Neu­see­land (12 to. CO2), für 20 Euro nach Mal­le um sich ein Kon­zert anzu­hö­ren (1 to. CO2), all das gilt immer noch als „schick und ange­sagt“. Dafür fährt man ja auch einen elek­tri­schen SUV und ver­zich­tet ein biss­chen auf Fleisch. Wenn man Deut­sche fragt, war­um sie flie­gen, kommt zwi­schen den Zei­len die Ant­wort : „Weil ich es mir leis­ten kann“. Das Pro­blem ist nur, dass es sich welt­weit immer mehr Men­schen leis­ten kön­nen. Wenn bald jähr­lich eine Mil­li­ar­den Inder und Chi­ne­sen den Luft­raum bevöl­kern, weil sie es sich leis­ten kön­nen und wir den Trend gesetzt haben, brau­chen wir uns um alter­na­ti­ve Auto­an­trie­be oder eine Ernäh­rungs­um­stel­lung kei­ne Gedan­ken mehr machen. Dann ist näm­lich end­gül­tig „Schicht im Schacht“.

Ihr Nor­bert Schnellen

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