Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen
winterberg-totallokal : Es ist schon seltsam, wie die „öffentliche Meinung“ derzeit mit Papst Franziskus umspringt. Das Oberhaupt der katholischen Kirche versucht nun endlich, die schrecklichen Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen durch Amts- und Würdenträger, grundlegend aufzuarbeiten. Ein sehr schweres Unterfangen für den 82-jährigen, der hierbei oft an die Grenzen seiner irdischen Kräfte zu stoßen scheint. Dabei sieht er sich einer Häme und einer öffentlichen Diffamierung ausgesetzt, die schon manchmal an eine Hexenjagd erinnert. Von allen Seiten schlägt ihm der „Volkszorn“ entgegen, als wenn viele auf eine Gelegenheit gewartet hätten die gesamte Institution Kirche in ihren Grundfesten zu erschüttern. Die Verbrechen einiger Priester gegenüber Schutzbefohlenen, resultieren sicher aus den starren, hierarchischen Machtstrukturen, die sich in der über 2000-jährigen Geschichte der Kirche gebildet haben. Diese Strukturen von heute auf morgen zu ändern ist schlichtweg unmöglich. Die nötigen Reformen dürfen zudem nicht dazu führen, dass eine so wichtige moralische Instanz, wie es die Kirche heute noch immer ist, als Mainstreamorganisation dem jeweiligen Zeitgeist hinterherläuft.
Aber wieso kocht das alles gerade jetzt hoch und warum gerade bei diesem Papst ? Seine beiden konservativen Vorgänger waren doch viel eher die Repräsentanten der falschen Traditionen, die solche Vorgänge lange ermöglicht und gedeckt haben. Es ist schon interessant, wie sich der Umgang der meisten Medien mit diesem Papst entwickelt hat. Nach seiner Wahl kam er mit seiner netten und bescheidenen Art eigentlich ganz gut an. Je mehr er jedoch zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Position bezog, umso mehr wurde er von allen Seiten kritisiert. Mit seiner klaren Positionierung gegen Umweltzerstörung in seiner Enzyklika „Laudato si“, mit seinen klaren Aussagen zur ungleichen Verteilung des Wohlstands, mit seiner kompromisslosen Verurteilung von Gewalt, auch bei der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer, mit seinem klaren Postulat zur „Kirche der Armen“ hätte er eigentlich das Zeug zu einem Medienstar haben müssen. Gerade die „linken“ Medien hätten doch allen Grund jetzt einmal positiv über die Kirche und ihren obersten Repräsentanten zu berichten, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn man dann im Kontext mit den negativen Berichten in den Medien, dort die Anzeigen oder Werbespots multinationaler Konzerne sieht, könnte man versucht sein, daraus einen Zusammenhang zu konstruieren. Denn diese Konzerne haben lieber einen hochgeistigen und weltfremden alten Herrn im Vatikan, als jemanden, der die „gottgewollte Ordnung“ des globalen Kapitalismus in Frage stellt. Ein solcher Papst muss, wie der Mann aus Nazareth, auf den sich seine Religion bezieht, damit rechnen, dass ihn die wirklich Mächtigen vernichten wollen.
Ich glaube, dass der Mann aus Argentinien das alles wusste, als er sich mit seiner Wahl in dieses Martyrium begab. Dafür sollten wir ihm dankbar sein und ihm als Person, und nicht seinem Amt, den nötigen Respekt zollen.
Ihr Norbert Schnellen