Stichwort der Woche : Karneval oder Realsatire ?

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche, von Norbert Schnellen…

win­ter­berg-total­lo­kal : Kar­ne­val war zu allen Zei­ten nicht nur der rei­ne Froh­sinn, son­dern auch die ein­zi­ge Gele­gen­heit im Jahr die „Obrig­keit“ humor­ver­brämt, fron­tal anzu­grei­fen. Gera­de in den Zei­ten des Feu­da­lis­mus nutz­ten die Kar­ne­va­lis­ten aus dem Volk die när­ri­schen Tage dazu, das Ver­hal­ten der Herr­scher­klas­se zu per­si­flie­ren. Die Hul­di­gung des „Prinz Kar­ne­val“, die uni­for­mier­ten Fun­ken­gar­den, die Umzü­ge und die Büt­ten­re­den, waren eigent­lich ein Volks­auf­stand gegen das herr­schen­de Sys­tem. Weil die mili­tä­ri­sche Über­le­gen­heit der Feu­dal­her­ren rea­le Volks­auf­stän­de aus­sichts­los mach­ten, bekämpf­te man die Her­ren nicht mili­tä­risch son­dern mach­te sie ganz ein­fach lächer­lich. In der Tra­di­ti­on des ursprüng­li­chen Kar­ne­vals waren es spä­ter die Kaba­ret­tis­ten, die das herr­schen­de Sys­tem kri­ti­sier­ten. Vor allen Din­gen unter den Nazis und in der DDR brach­ten sie sich dabei teil­wei­se in Lebensgefahr.

Heu­te haben sowohl Kaba­ret­tis­ten als auch Kar­ne­va­lis­ten ein rie­si­ges Pro­blem : Die Wirk­lich­keit ist viel lächer­li­cher als dass sie sie noch über­spit­zen kön­nen. Man neh­me die ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten – Clin­ton mit sei­ner „Oral Office“ Affä­re war sicher­lich eine tol­le Ziel­schei­be, auch Geor­ge W. Bush war ein gefun­de­nes Fres­sen für jeden Kar­ne­va­lis­ten, die Selbst­in­sze­nie­rung eines Donald Trump kann man aber nicht mehr über­tref­fen. In Deutsch­land waren der dau­er­rau­chen­de Hel­mut Schmidt, “Bir­ne” Hel­mut Kohl und der läs­si­ge, dau­er­hei­ra­ten­de Ger­hard Schrö­der noch dank­ba­re Opfer für jede Art der Par­odie. Bei Ange­la Mer­kel hör­te der Spaß irgend­wann auf. Eine küh­le und immer distan­ziert wir­ken­de Phy­si­ke­rin als „Mut­ti“ zu bezeich­nen, war sicher nicht lus­tig, son­dern ein­fach nur peinlich.

Doch nach der letz­ten Bun­des­tags­wahl kamen die Kar­ne­va­lis­ten im Ber­li­ner Reichs­tag auf Hoch­tou­ren. Den Auf­takt der Ses­si­on mach­ten die wochen­lan­gen Jamai­ka-Son­die­run­gen mit gegen­sei­ti­gem „Bütz­chen geben“ und den stän­di­gen Bal­kon­sze­nen. Es folg­te der fina­le „Lind­ner-Tusch“ mit „bes­ser nicht regie­ren, als schlecht regie­ren“. Die Pirou­et­ten der SPD-Tanz­gar­de mit Fun­ken­ma­rie­chen Mar­tin Schulz kön­nen in ihrer Cho­reo­gra­fie von kei­nem Pro­fi­bal­lett über­bo­ten wer­den. Die Ergeb­nis­se der lau­fen­den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wer­den, im Hin­blick auf die jewei­li­gen Wäh­ler, so unter­schied­lich inter­pre­tiert, dass man sich fragt, ob die­se Leu­te wirk­lich im sel­ben Raum geses­sen haben. All das kann kein Kar­ne­va­list top­pen. Was bleibt jetzt der Nar­ren­schar ? Schun­keln, viel trin­ken, tan­zen und die Hoff­nung dar­auf, dass die Gro­ße Prunk­sit­zung in Dau­er­schlei­fe, unter dem Mot­to „Ber­lin bleibt Ber­lin, wie es lügt und lacht“, irgend­wann ein­mal zu Ende geht.

Ihr Nor­bert Schnellen

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