Früher war fast jeder ein „Allrounder“ – Heute gibt es Spezialisten…

Stichwort der Woche von Norbert Schnellen

win­ter­berg-total­lo­kal : Frü­her war fast jeder ein „All­roun­der“. Die Men­schen muss­ten, so wie auch heu­te noch bei eini­gen Urvöl­kern üblich, fast alles, was sie zum Leben und Über­le­ben brauch­ten, sel­ber machen. Natür­lich kris­tal­li­sier­ten sich in den sozia­len Struk­tu­ren der Fami­li­en oder Sip­pen sehr bald Men­schen her­aus, die das eine oder ande­re bes­ser machen konn­ten als ande­re. So ent­stan­den das Hand­werk und der Han­del, bald aber auch hier­ar­chi­sche Struk­tu­ren. Heu­te ist die Spe­zia­li­sie­rung in unse­rer Gesell­schaft so weit vor­an­ge­schrit­ten, dass kei­ner von uns mehr in der Lage ist für sich selbst zu sor­gen. Unse­re kom­plet­te Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung liegt in der Hand von Spezialisten.

Die Erzeu­gung der Lebens­mit­tel erfolgt zunächst in der Land­wirt­schaft, die sich ihrer­seits wie­der spe­zia­li­siert hat : Milch- oder Eier­er­zeu­gung, Acker­bau, Fleisch­erzeu­gung erfol­gen schon längst in Betrie­ben, die sich jeweils dar­auf spe­zia­li­siert haben. Die Ver­ed­lung, also Wei­ter­ver­ar­bei­tung erfolgt durch vie­le spe­zia­li­sier­te Betrie­be, bis die fer­ti­gen Pro­duk­te dann durch die Spe­zia­lis­ten im Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del an uns End­ver­brau­cher gebracht wer­den. Die Band­brei­te der Spe­zia­li­sie­rung erfasst alle Lebens­be­rei­che. Ohne Spe­zia­lis­ten funk­tio­niert unse­re gesam­te Haus­tech­nik nicht, der Ver­kehr könn­te nicht rol­len und natür­lich klapp­te kein Inter­net und kei­ne Unter­hal­tung. Beson­ders im medi­zi­ni­schen Bereich spürt man die Spe­zia­li­sie­rung sehr stark. Wäh­rend frü­her ein, mehr oder weni­ger guter, Haus­arzt neun­zig Pro­zent der Krank­hei­ten und übli­chen Weh­weh­chen sel­ber in den Griff bekam (die rest­li­chen zehn Pro­zent lan­de­ten etwas frü­her auf den Fried­hof), wird man heu­te direkt zum Spe­zia­lis­ten über­wie­sen. Bei schwie­ri­gen Dia­gno­sen, wie zum Bei­spiel einem Jucken im Ohr, wer­den mit einem HNO-Arzt und einem Der­ma­to­lo­gen am bes­ten gleich zwei Spe­zia­lis­ten zu Rate gezogen.

Frü­her konn­te man sein Geld unter die Matrat­ze legen oder aus dem Fens­ter schmei­ßen, heu­te gibt es Anla­ge­spe­zia­lis­ten. Die machen im Prin­zip das Glei­che, drü­cken das nur etwas vor­neh­mer aus. Wenn ein Unter­neh­men nicht läuft holt man sich die Spe­zia­lis­ten von Unter­neh­mens­be­ra­tun­gen. Es ist zwar nicht gesagt, dass es danach läuft, aber man kann auf meh­re­ren Tau­send Sei­ten nach­le­sen war­um nicht. Beson­ders gra­vie­rend macht sich das Spe­zia­lis­ten­tum in der Poli­tik bemerk­bar. Eine Demo­kra­tie basiert eigent­lich dar­auf, dass gewähl­te Volks­ver­tre­ter mit gesun­dem Men­schen­ver­stand die Regie­rung bil­den und über­wa­chen. Heu­te, in Zei­ten von sehr kom­ple­xen poli­ti­schen Zusam­men­hän­gen, sind natür­lich nur Poli­tik­wis­sen­schaft­ler oder wenigs­tens Juris­ten in der Lage uns als Abge­ord­ne­te zu vertreten.

Die­se holen sich, bei schwie­ri­gen Ent­schei­dun­gen, dann noch die Spe­zia­lis­ten der Lob­by­ver­bän­de dazu, so dass die­se im End­ef­fekt unse­re Geset­ze machen und über unser aller Wohl und Wehe ent­schei­den. Das mag ja alles in Ord­nung sein, aber kann man das dann noch Demo­kra­tie nen­nen ? „Auf jeden Fall“ mei­nen die Pro­pa­gan­da­spe­zia­lis­ten der Medi­en : „Wo Demo­kra­tie drauf steht, ist auch Demo­kra­tie drin“. Soll man das noch glau­ben ? Irgend­wie habe ich dabei ein etwas flau­es Gefühl im Bauch. Viel­leicht soll­te ich dazu mal einen Spe­zia­lis­ten konsultieren.

Ihr Nor­bert Schnellen

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