Herbstgefühle im Frühling

Winterberg-Totallokal : Stichwort der Woche von Norbert Schnellen

win­ter­berg-total­lo­kal : Wir haben Früh­ling und unse­re Poli­ti­ker, quer durch alle Par­tei­en, beschäf­ti­gen sich lie­ber mit dem Herbst, dem Herbst des Lebens – also mit der Ren­te. Für­wahr ein The­ma mit dem man punk­ten kann. Die Ren­te scheint sich in unse­rer moder­nen Gesell­schaft inzwi­schen als eine Art Ersatz­re­li­gi­on eta­bliert zu haben. Wäh­rend sich ein isla­mis­ti­scher Selbst­mord­at­ten­tä­ter auf sei­ne 72 Jung­frau­en im Jen­seits freut, hat ein deut­scher Arbeit­neh­mer ein ähn­li­ches Ziel noch im Dies­seits vor Augen : Kreuz­fahr­ten, end­lich mal ein dickes Cabrio oder ein schwe­res Motor­rad, eine eige­ne Segel­yacht – der Wunsch­zet­tel für das Leben nach dem Brot­er­werb ist viel­fach unend­lich lang. Doch so lang­sam setzt sich die Erkennt­nis durch, dass die­ses Ren­ten­sys­tem in Zukunft nicht mehr funk­tio­nie­ren kann. Eigent­lich ist das schon seit Jahr­zehn­ten klar, aber seit Ade­nau­ers fal­scher Pro­gno­se „Kin­der krie­gen die Leu­te immer“, hat es kei­ne Poli­ti­ker­ge­nera­ti­on gewagt die Amok­fahrt der Ren­ten­ver­si­che­rung zu stop­pen. Zunächst ein­mal muss man sich dar­über klar wer­den, was eine Ren­te, im Sin­ne eines funk­tio­nie­ren­den Sozi­al­staats, eigent­lich ist.

Eine Ren­te soll­te allen Men­schen, die ab einer gewis­sen Alters­gren­ze nicht mehr arbei­ten kön­nen oder möch­ten, ein men­schen­wür­di­ges Aus­kom­men sichern. Von Kreuz­fahr­ten oder Autos ist dabei kei­ne Rede. Es kann näm­lich nicht ange­hen, dass ein arbei­ten­der Fami­li­en­va­ter oder eine teil­zeit­be­schäf­tig­te Allein­er­zie­hen­de mit ihren Bei­trä­gen für die Flau­sen von Bezie­hern hoher Ren­ten oder Pen­sio­nen auf­kom­men. Wer im Erwerbs­le­ben viel ver­dient hat, hat­te auch die Gele­gen­heit pri­vat für sein Alter vor­zu­sor­gen, wer nur über ein klei­nes Ein­kom­men ver­füg­te sicher­lich nicht. Ist es denn gerecht, die immer höher wer­den­de Kluft zwi­schen den Ein­kom­men auch noch nach Errei­chen der Alters­gren­ze zu mani­fes­tie­ren und über­höh­te Alters­ein­künf­te noch durch die Soli­dar­ge­mein­schaft zu finan­zie­ren ? Ich bin der Mei­nung, dass man die Höhe von Ren­ten und Pen­sio­nen viel frü­her deckeln muss. Für jeman­den, der sein Leben lang malocht hat ist es eine Zumu­tung beim Sozi­al­amt zu lan­den. Nur eine ein­heit­lich gestal­te­te Ren­te könn­te die Alters­ar­mut bekämpfen.

Kann man denn ein­mal erwor­be­ne Besitz­stän­de anrüh­ren ? Kann man, denn bei den Gene­ra­tio­nen zukünf­ti­ger Rent­ner macht es unse­re Poli­tik jetzt schon. Es muss nur der poli­ti­sche Wil­le dazu da sein, doch der fehlt den „Lap­pä­sen“ in Ber­lin. Sie schie­len nur auf die nächs­ten Wah­len und trau­en sich nicht die not­wen­di­gen Schrit­te für eine grund­le­gen­de Ren­ten­re­form, wel­che alle Ein­künf­te zur Zah­lung her­an­zie­hen und eine wirk­li­che Ren­ten­ge­rech­tig­keit schaf­fen wür­de, in Angriff zu nehmen.

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